Die weiße Art des Sehens

Die weiße Art des Sehens

Koloniale Denkmäler erinnern heute in vielen europäischen Städten ungebrochen an imperiale Herrscher*innen und Profiteure des Kolonialismus. In ihrem Text „Die weiße Art des Sehens“ setzen sich Sybille Bauriedl und Inken Carstensen-Egwuom skizzenhaft mit einigen dieser Denkmäler auseinander. Geschrieben für Ulrike Bergermann führt der Text die Lesenden von Kapstadt über Bristol nach Hamburg und Flensburg, bis er mit Überlegungen zum „I am Queen Mary“ Denkmal in Kopenhagen endet. Als weiße Art des Sehens verstehen sie dabei mit Rückgriff auf Nicholas Mirzoeff sowohl eine Art des Sehens als auch eine mächtige Infrastruktur, die eurozentristische Perspektiven in den Vordergrund rückt: Während Kolonialprofiteure erinnert werden, wird koloniale Gewalt und Widerstand dagegen entinnert.

Dabei ist diese heroisierende, romantisierende und verharmlosende Erinnerung an Versklavungsakteure, kolonialismusermöglichende Politiker*innen und Profiteur*innen europäischer Gewaltherrschaft auch immer Gegenstand von Protest, den die Autor*innen im Text stets mit skizzieren. Ausgehend von „Rhodes must fall“ in Kapstadt widmen sie sich der aktivistischen Praxis des Fallismus. Während die Forderung „Colston must fall“ in Bristol, 2020 im Rahmen eines Black Lives Matter Protests von Protestierenden eigenmächtig umgesetzt wurde, steht Otto von Bismarck in Hamburg trotz selbiger Forderung heute noch. Sybille Bauriedl und Inken Carstensen-Egwuom besprechen anhand des Beispiels Hamburg Prozesse städtischer Erinnerungspolitik und stellen fest: „Die Umgestaltung und Kontextualisierung von Kolonialdenkmälern [wird oft] zu einer top down gesteuerten Angelegenheit von weiß-dominierten Wissenschafts-, Kultur und politischen Eliten“, People of Colour und zivilgesellschaftliche Initiativen, die seit Jahren Protest und Dialog organisieren, fehlen dann oft. Hier wird damit die Frage danach, wer die Kontrolle über Dekolonisierungsprozesse haben soll, deutlich.

Denkmalabräumungen sind ein Schritt in Richtung einer Depriveligierung weißer Sehgewohnheiten, indem sie Orte des selbstverständlichen und verharmlosenden Erinnerns an koloniale Akteure verändern und so Sehgewohnheiten unterbrechen. Gleichzeitig sind Städte auch ohne Denkmäler lebendige Archive für Kolonialismus – Straßennamen, Architektur und Institutionen sind durchdrungen von kolonialen Verflechtungen. Die Gewalt und der Widerstand der mit Kolonialismus einherging wird aktiv entinnert. Auch hiergegen sind antikoloniale Gruppen aktiv, indem sie versuchen Orte für diese Formen der Erinnerung zu schaffen. Die Autor*innen zeigen am Beispiel Flensburg und Kopenhagen wie auf Leerstellen in Erinnerungsdebatten hingewiesen wird und Widerstandskämpfer*innen geehrt werden. Eine leere, weiße Plattform als temporäre Installation im Flensburger Hafenbecken hat im Juli 2019 auf die fehlende Thematisierung von kolonialer Ausbeutung in Flensburgs Selbstbild als Rum- und Zuckerstadt hingewiesen. In Kopenhagen haben die Künsterinnen La Vaughn Belle und Janette Ehlers mit „I am Queen Mary“ eine Gegenerzählung zum dänischen Kolonialismus geschaffen, die Widerstand und Ausbeutung zentriert.

In ihren abschließenden Überlegungen weißen Sybille Bauriedl und Inken Carstensen-Egwuom dabei auch auf die Schwierigkeit koloniale Erinnerungsorte als historisch und gleichzeitig gegenwärtig zu verstehen hin. Der Protest gegen eine lokale Erinnerungspolitik ist dabei zugleich das Sichtbarmachen eines historischen kolonialen Erbes aber auch Protest gegen globale und lokale Politiken aktueller (Re)Produktion von Ungleichheit.