Buchvorstellung: Sammelband „Dänemark als globaler Akteur 17.-20. Jahrhundert – Koloniale Besitzungen und historische Verantwortung“

Buchvorstellung: Sammelband „Dänemark als globaler Akteur 17.-20. Jahrhundert – Koloniale Besitzungen und historische Verantwortung“

Ein Gastbeitrag von Bea Lundt

Aktuelle Bedeutung des Themas:  Dänemark als Kolonialmacht und die Verantwortung Schleswig-Holsteins

Dieses Jahr erschien im Kieler Solivagus Verlag der Sammelband „Dänemark als globaler Akteur 17.-20. Jahrhundert. Koloniale Besitzungen und historische Verantwortung“. Die beiden Herausgeber, Florian Jungmann und Martin Krieger, erinnern in der Einleitung an verschiedene Ereignisse, die in den letzten Jahren eine verstärkte Gedächtnisarbeit an die Kolonialzeit auslösten: die ‚Black-Lives-Matter‘-Bewegung, die Diskussion um die These Michael Rothbergs von ‚Multidirectional Memory‘, die Forderungen nach Restitution der geraubten Kulturgüter. Die Erinnerung an die Zeit als Imperialmacht und die Verantwortung für koloniale Verbrechen in den eroberten Ländern war in Dänemark weitgehend zurückgetreten und sie wird zur Zeit wiederaufgerüttelt. Für Schleswig-Holstein stellte das Jahr 2017 eine Wegmarke dar, als der 100. Jahrestag des Verkaufes der Dänisch-Westindischen Inseln an die Vereinigten Staaten begangen wurde. Auch in der Fördestadt Flensburg stellten sich mit neuer Deutlichkeit Fragen nach der kriegerischen Inbesitznahme fremder Regionen und der verantwortungslosen Ausbeutung und Selbstbereicherung durch koloniale Wirtschaft. Im Mittelpunkt standen der Handel mit versklavten Menschen in den überseeischen Kolonien, sowie die nachhaltige Bedeutung der Verschleppung von Afrikanern und Afrikanerinnen, die eine Diaspora in Amerika begründete. „Denn auch Norwegen und Schleswig-Holstein hatten nämlich Anteil an einer ‚dänischen‘ Kolonialgeschichte“ (S. 10), wie die Herausgeber festhalten.

Flensburg und der sogenannte Transatlantische Dreieckshandel

Gerade die Stadt Flensburg profitierte vom sogenannten Transatlantischen Dreieckshandel: Waren aus Schleswig-Holstein wurden an die Westküste Afrikas verschifft, damals meist ‚Guineaküste‘ genannt. Neben anderen Regionen befand sich dort ein von den europäischen Händlern besonders begehrter Küstenstreifen, den sie ‚Goldküste‘ (‚gold coast‘) nannten, nachdem sie seine reichen Vorkommen an Gold entdeckt hatten.

Aufgrund von Abkommen mit den lokalen Ethnien, besonders den an der Küste lebenden Fanti und den weiter im Landesinneren befindlichen Ashanti, die eine große Königsherrschaft gebildet hatten, wurden die aus Europa kommenden Güter gegen Menschen eingetauscht, die aus dem Landesinneren an die Küste geschleppt und versklavt wurden. Während der Zeit des dänischen Engagements wurden sie auf die überseeischen Plantagen der dänischen Jungferninseln verschleppt. Es war eine sehr gefährliche Reise, die viele nicht überlebten. Das erste dänische Sklavenschiff erreichte St. Thomas 1676. Dort wurden die afrikanischen Menschen gezwungen, Zuckerrohr anzubauen, das wiederum, vor allem in Form des Konzentrats Melasse, auf dem Seeweg nach Norddeutschland kam, wo es zur Rumproduktion diente. Flensburg verdankt diesem Produkt seinen Reichtum und der Stolz darüber ist tief verwurzelt in Geschichte, Identität und Selbstpräsentation der Stadt nach außen; weitgehend nicht verankert ist das Wissen darüber, dass die Arbeit versklavter Menschen die Basis dieser Entwicklung darstellt. Nach Michael Zeuske ist Dänemark verantwortlich für 111.041 Menschen, die aus Afrika als Sklaven deportiert wurden. Einige von ihnen leisteten Widerstand und versuchten, von den Plantagen zu fliehen. 1733 gab es auf St. John einen Aufstand, der durch französische Truppen blutig niedergeschlagen wurde.

1850 verkauften die Dänen ihre Plantagen und Castles an der Guineaküste an die Engländer. Damit endeten die dänischen Aktivitäten an der Goldküste formal. Die Engländer übernahmen den Namen „Gold Coast“, als sie schließlich den Streit der verschiedenen europäischen Handelsgeselllschaften und Mächte um dieses reiche Land für sich entschieden und die Region an der Küste 1878 formal zu ihrer Kronkolonie erklärten. Der Norden der Region blieb bis 1887 britisches Protektorat und wurde dann ebenfalls dem Kolonialgebiet hinzugefügt. Nachdem das Land sich 1957 die Unabhängigkeit aus britischer Kolonialherrschaft erkämpft hatte und verschiedene Landesteile verbunden worden waren, gab es sich den Namen ‚Ghana‘.

Die Castles in Ghana

Zunächst einige Hintergrundinformationen über die ‚Castles‘: Europäer landeten an der Küste Westafrikas und ließen seit 1482 dort zahlreiche monumentale Bauten errichten – als Unterkünfte, Lagerräume, Verwaltungssitze und Verteidigungsposten gegen andere europäische Mächte an der Küste. Kanonen waren auf das Meer gerichtet. In den geräumigen Innenhöfen fanden Märkte statt, auf denen Waren gehandelt und getauscht wurden. Dort befanden sich auch die Repräsentationsräume der Gouverneure, eine Schule und eine Kirche. Direkt darunter gab es Kellerräume, die als sog. ‚Slave Dungeons‘ genutzt wurden. Menschen aus dem afrikanischen Hinterland – Frauen und Männer getrennt – wurden in ihnen gesammelt und zusammengepfercht, bis Schiffe eintrafen, auf die sie verladen wurden. Durch eine schmale Pforte, die sog. ‚Door of no Return‘, wurden sie auf Deck geschleust. Der Handel mit Menschen erwies sich als profitabler als der mit Waren und es beteiligte sich eine Reihe von europäischen Mächten daran; aber auch in Afrika war er verbreitet. Es gab eine Reihe von größeren und kleineren Castles mit unterschiedlicher Funktion. Sie wechselten öfter die Besitzer und die Verschleppung der versklavten Menschen ging entsprechend in verschiedene Regionen Nord- und Lateinamerikas.

Heute gehören alle diese Castles, die sich die Küste Ghanas entlangziehen, zum UNESCO-Weltkulturerbe und einige von ihnen können besichtigt werden. Unter diesen ist Cape Coast Castle mit seinen gewaltigen Kerkern, der für die Goldküste zentrale Ort, der als Sammelbecken, Umschlagplatz und Verschiffungsort von versklavten Menschen diente. Erbaut wurde dieses Fort von Niederländern 1637, es kam dann in schwedische und während der offiziellen Kolonialzeit in britische Hand. Auch ein ‚deutsches‘ Fort ist in Ghana zu sehen: das kurbrandenburgische Groß Friedrichsburg, errichtet 1683. In meinem Beitrag in dem Band widme ich mich dem Haupt-Stützpunkt der Dänen: Christiansborg bzw. Osu-Castle, erbaut 1661.

Karte von der Westküste Ghanas, ehemals „Goldküste“ genannt. Eingezeichnet sind einige Standorte europäischer Forts. Quelle: Jungmann, F. & M. Krieger 2024: Dänemark als globaler Akteur: 17- – 20. Jahrhundert Koloniale Besitzungen und historische Verantwortung, S. 200.

Zum Inhalt des Bandes

Der Sammelband enthält Beiträge, die sich mit dieser verdrängten Geschichte Dänemarks auseinandersetzen. Sie berichten zunächst über die Voraussetzungen, die Strukturen und Akteure. Weitere Aufsätze thematisieren die Kolonialzeit im Nordatlantik (Grönland, Island), Indien (Tranquebar, Serampore u.a.) sowie im heutigen Ghana und den heutigen amerikanischen Jungferninseln. Die Autoren und Autorinnen stammen zum Teil aus den jeweiligen Ländern und stellen Quellenstudien und archäologische Ergebnisse der wissenschaftlichen Erinnerungsarbeit vor Ort vor. Fünf Beiträge betreffen die Verwicklungen von Schleswig-Holstein mit den aus Ghana deportierten versklavten Menschen:

Darunter ist ein Beitrag von Ulrich van der Heyden über eine zentrale Figur der organisierten Ausbeutung und seine Karriere: den reichen Kaufmann Heinrich Ludwig von Schimmelmann, Plantagenbesitzer auf St. Croix.

Der ghanaische Archäologe Wazi Apoh und seine Mitarbeiterin Benedicta Gokah berichten von den Kooperationen der Dänen mit indigenen Ethnien, die auch die Übernahme kultureller Elemente zur Folge hatten, etwa das Bauen mit Stein. Die in Schleswig-Holstein gebrannten Steine wurden auf den Schiffen mitgeführt. Neben den Bauresten verschiedener Castles werten sie vor allem orale Zeugnisse aus, die die Aktivitäten der Bevölkerung Ghanas zu Übernahme und Abwehr, Verarbeitung und Integration von Elementen dänischer Kultur hervorheben.

David Akwasi Mensah Abrampah widmet sich den Plantagen, die während der dänischen Kolonialzeit im heutigen Ghana vor allem in Dodowa eingerichtet wurden. 1803 wurde der Sklavenhandel über See durch Dänemark offiziell verboten, um die hohen Verluste der Überseefahrten zu vermeiden. Daher wurden die versklavten Menschen als Arbeiter*innen vor Ort eingesetzt. Der Autor spricht von über dreißig Forts und Plantagen, die zur Zeit ausgegraben und erforscht werden. Die Pflanzungen führten dazu, dass nach dem Verbot der Handel mit versklavten Menschen innerhalb von Westafrika noch einmal aufblühte und sich eine reiche afrikanische Kaufmannselite herausbildete.

Ulla Lunn beschreibt die Spuren der dänischen Kolonialzeit auf den heutigen amerikanischen Jungferninseln. Auf St. Thomas etwa „etablierte sich […] eine multinationale europäische Kolonialgesellschaft, deren Reichtum sich auf der Ausbeutung abertausender aus Afrika für den Zuckerrohranbau verschleppter Sklaven gründete“ (253), so kommentiert die Autorin. Dieser Reichtum manifestierte sich vor allem im Bau von Castles und Häusern sowie in der Entwicklung hochqualifizierter Handwerkstechniken, die einigen „Handwerker-Sklaven“ (260) vermittelt wurden, die sich daraufhin auch freikaufen konnten: es ging vor allem um das Maurerhandwerk und die Holzbearbeitung.

Mein Beitrag über die kolonialen Akteure in dem dänischen Castle Fort Christiansborg (Osu Castle) in Accra

Mein eigener Beitrag in diesem Buch widmet sich Fort Christiansborg, dem Sitz der dänischen Kolonialverwaltung in Accra für ca. 200 Jahre. Das Gebäude ist ein Repräsentativbau am Atlantischen Ozean, der über Accra thront und sich schon optisch als Sitz einer Macht ausweist. Kurzzeitig besetzte eine indigene Ethnie das Fort, später die Engländer und auch das unabhängige Ghana wählte zunächst diese Räumlichkeiten als Regierungssitz seiner Präsidenten. Nach dem Stadtviertel, mit dem es eng verbunden ist, wird es in Ghana meist ‚Osu Castle‘ genannt. Neben seiner politischen Bedeutung als Verwaltungszentrale war es zugleich das Haupthandelszentrum der verschiedenen europäischen Besitzer, denn die Besatzung des Castles wurde von Dänemark weitgehend mit Waren entlohnt, die sie an Afrikaner verkauften. Auch dieses Castle enthielt Kellerräume, die zunächst für die Lagerung von Waren bestimmt waren, dann aber auch als Slave-Dungeons und Gefängnis dienten.

Im Haupteingang von Osu Castle führt eine einladende Treppe in das Obergeschoss mit den Wohn-, Arbeits- und Repräsentationsräumen sowie der Kapelle, Foto: Nina Paarmann.

Ich habe Ego-Dokumente (Tagebücher und Briefe) von Dänen ausgewertet, die für die dänische Kolonialmacht tätig waren, dort lebten und wirkten bis das Gebäude 1850 an die Briten verkauft wurde. Diese Quellen stammen aus dem 17. -19. Jahrhundert. Aus dem Dänischen wurden sie ins Englische übersetzt, ausführlich kommentiert und in Accra publiziert, um den Menschen dort sprachlich zugänglich zu sein. Das Interesse daran, wer in Osu-Castle lebte und wie diese Fremden ihren Aufenthalt, die Menschen vor Ort und ihre Tätigkeit beschrieben, ist groß.

Es handelt sich um zwei protestantische Geistliche, die die Situation des Sklavenhandels völlig konträr einordnen, einen Juristen, der die Handelsverträge mit den Afrikanern aufsetzte, und schließlich den letzten dänischen Gouverneur in Accra, der den Verkauf abwickeln musste. Als Akteure kolonialen Handelns beschreiben sie anschaulich Land und Leute, wie sie sie wahrnahmen. Sie kommentieren die ökonomische und politische Entwicklung und nehmen zum Teil auch Stellung zur Frage des Kolonialismus und Sklavenhandels. Dabei vermitteln sie tiefe Einblicke in die meist offen rassistische Mentalität der Besatzer, verschiedentlich aber auch in ihre Proteste gegen die offizielle Kolonialpolitik oder gegen die Unmenschlichkeit der Sklavenhändler.

Häufige schwere Erkrankungen und viele Todesfälle gehörten zum Alltag im Castle. Das Leben spielte sich weitgehend ab zwischen Krankenlager, skrupelloser Selbstbereicherung, Saufereien, brutalen Akten gegenüber den Indigenen und vor allem den Versklavten. Die Kolonialbeamten lebten mit zahlreichen ‚Konkubinen‘ genannten Frauen im Castle zusammen, die ihnen den Haushalt führten. Ein Pfarrer beschreibt das enthemmte Sexualleben der Dänen und kritisiert es scharf, er beklagt sich aber auch über die Polygamie der Afrikaner*innen. Die Quellen sagen nichts darüber, wie diese Partnerinnen rekrutiert und behandelt wurden, doch ist anzunehmen, dass sexualisierte Gewalt im Spiele war, die auf der strukturellen Überlegenheit der Dänen beruhte. Keiner der Autoren meiner Quellen schreibt etwas darüber, was aus den afrikanischen Frauen und den vielen Kindern wurde, die die Dänen mit ihnen zeugten, wenn diese nach einigen Jahren ihren Dienst vor Ort beendeten und zu ihren Ehefrauen in Dänemark zurückkehrten; auch über emotionale Verbindungen geben die Quellen keine Auskunft. Immerhin erhielten etliche Kinder, als ‚Mulatten‘ bezeichnet, Unterricht im Castle, vor allem die Jungen, und wurden dann als Schreiber, Übersetzer usw. eingestellt. Einige wurden zum Studium nach Kopenhagen geschickt.

Doch gibt es auch die Geschichte des dänischen Juden Wulff Joseph Wulff, der sich nach Ablauf seiner Dienstzeit als Jurist in Osu-Castle ein prächtiges Haus im Stadtteil Osu baute, dort niederließ, seine langjährige ‚Mulatinde‘ christlich heiratete, die Vaterschaft an ihren Kinder anerkannte und mit ihr zusammen Unternehmen gründete. In seinen Aufzeichnungen erzählt er, sie habe ihn jahrelang bei seinen vielen Krankheiten gepflegt, schwärmt von ihrer Klugheit, Bildung und Zuverlässigkeit. Es existiert eine Zeichnung, die er von ihr anfertigte. Nach seinem frühen Tod erwies sie sich als tüchtige Geschäftsfrau; die zahlreichen Nachkommen des Paares gelten als Teil der ghanaischen Elite. Auch in dem Aufsatz von David Akwasi Mensah Abrampah in diesem Band ist von ihm die Rede.

Im Ausklang gehe ich auf die erinnerungskulturelle Verarbeitung der dänischen Präsenz im heutigen Ghana ein: ‚Stones tell Stories in Osu‘, so ein Band des Architekturprofessors Henry Nii-Adziri Wellington von der University of Ghana. Er wurde vielbeachtet und mehrfach neu aufgelegt. Er enthält auch eine Stammtafel der auf Dänen und Norweger zurückgehenden Familien, die bis heute Teil der ghanaischen Oberschicht sind.

Informationen zum Sammelband:

Florian Jungmann & Martin Krieger (Hg.):
Dänemark als globaler Akteur 17.-20. Jahrhundert.
Koloniale Besitzungen und historische Verantwortung.
Solivagus Verlag Praeteritum Kiel 2024
ISBN: 978-3-947064-15-1

Der Sammelband kann hier bestellt werden.