Was uns ausmacht – Theaterwerkstatt Pilkentafel im Herbst
Wir erben, ob wir wollen oder nicht. Wir werden alle in eine Welt geboren, die schon da ist, die eine Geschichte hat. Eine Geschichte von Ungleichheit, Gewalt, Ausbeutung und Privilegien, Kolonialität, patriarchaler Herrschaft, Rassismus, Naturzerstörung, Hybris, aber auch aller Erhebungen dagegen. Wir nehmen qua Geburt einen Platz in dieser Welt ein – ein materielles Erbe, das regelt, über welche Zugänge, Ressourcen und Rechte wir verfügen.
Aber dieses Erbe ist auch in uns, es prägt, bildet, unterscheidet uns, macht uns aus.
Und weil es uns ausmacht, können wir es nicht sehen, denn es prägt auch die Art, wie wir sehen.
„Man erbt immer ein Geheimnis. ‘Lies mich!’ sagt es, ‚Wirst du jemals dazu imstande sein?'“ schreibt der französische Philosoph Jacques Derrida.
Wir haben geerbt – Rum und Zucker, Elfenbein und Raubkunst, Knochen Ermordeter, die Hybris angeblicher weißer Überlegenheit, Bilder von Normalität, in unsere Körper eingeschriebene Geschichten. Alle Künstler*innen dieses Spielplans setzen sich mit ihrem Erbe auseinander – mal ganz konkret mit dem kolonialen Erbe, einem Elfenbeinzahn, Zucker und Rum, den Knochen einer Yoruba Frau, mal mit dem impliziten Erbe, der Illusion von Normalität, unseren Gewohnheiten, eben dem was uns ausmacht, ohne dass wir es uns ausgesucht hätten.
Das Erbe ist immer da. Auch wenn wir es ablehnen, können wir uns ihm nicht entziehen. Wir leben in der Welt, wie sie ist. Aber wir können Geschichten anders erzählen, das Geheimnis ergründen, uns neue Perspektiven erschließen, und das sehen wir als unsere Aufgabe als Theater: Perspektiven verschieben, Haltung einnehmen, Geschichten anders erzählen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger!
5 Jahre nach der Ausstellung von Imani Tafari Ama im Schifffahrtsmuseum stellen wir noch einmal die Frage nach unserem Erbe in den Mittelpunkt dieses Spielplans. Und wir tun es nun nicht mehr nur aus der Flensburger Perspektive, sondern unsere Kolleg*innen bringen ihre Blickwinkel und Ästhetiken ein und so hoffen wir, das Bewusstsein Flensburgs über sein koloniales Erbe weiter zu bringen, neu oder wieder mit Ihnen, mit Euch, den anderen Erben, ins Gespräch zu kommen darüber, was wir vererben wollen.